Übergriffig: Wie um Abtreibung politisch taktiert wird; FAZ 11.02.2019
02/2019
Fünf Millionen Euro. So viel hat das Bundeskabinett dem Gesundheitsminister zusätzlich bewilligt, damit der ein Projekt durchsetzen kann, das hinter den Stand der Debatte zurückfällt: Jens Spahn (CDU) will die psychischen Folgen von Abtreibungen untersuchen lassen. Es wirkt wie eine erfreuliche Nachricht, dass Spahn sich plötzlich dafür interessiert, wie es Frauen geht – während es zuvor völlig akzeptabel für ihn war, dass sie alleingelassen wurden bei der nervenaufreibenden Suche nach einem Arzt, der Abbrüche vornimmt. Allerdings handelt es sich hier in Wahrheit um die versuchte Aufweichung von gleich zwei Kompromissen, um die hart gerungen wurde: Da ist zum einen die „illegal, aber straffrei“-Regelung der Abtreibung von 1974, zum anderen die neue Vereinbarung zum „Werbeparagraphen“ 219a von Anfang Februar, nach der Ärzte und Kliniken wenigstens auf ihren Websites informieren dürfen, dass sie Abbrüche vornehmen. Aber Spahn stellte eine Bedingung: besagte Studie.
Um herauszufinden, was eine solche Studie in dem Zusammenhang bezwecken soll, muss man nur ihre möglichen Ergebnisse betrachten. Erstens: Eine überwältigende Mehrheit der betroffenen Frauen gibt zu Protokoll, es gehe ihnen gut mit der Entscheidung. Das würde keinerlei politische Aktion nach sich ziehen und kann nicht Spahns erhofftes Ergebnis sein. Das Gleiche gilt für, zweitens, ein unklares Meinungsbild. Drittens: Die meisten sagen, sie bereuten nichts, aber die Arztsuche sei sehr belastend gewesen – dann kann die Koalition sich für ihre Reform feiern. Viertens: Viele Frauen geben an, sie litten noch heute unter der Entscheidung. Das wäre ein Anlass für Spahn, nicht nur den Kompromiss von 2019, sondern sogar den von 1974 in Frage zu stellen.
Nun kann man sich ausmalen, wie es einer Frau geht, die Jahre nach einem Abbruch für eine Studie darüber ausgequetscht wird: Allein das ist eine unangenehme Situation, die nicht gerade dazu einlädt, sich selbstsicher und zufrieden zu zeigen. Darüber hinaus ist in der Sozialforschung der Effekt der sozialen Erwünschtheit wohlbekannt, der in diesem Fall das Risiko beschreibt, dass eine Frau angesichts der Frage nach ihrer Abtreibung schon deshalb gelegentliche Zweifel zugeben würde, weil sie befürchtet, sonst kaltherzig zu wirken. Diese Effekte kann man durch ein geeignetes Studiendesign minimieren. Ob Spahn daran Interesse hat, ist fraglich.
Schließlich handelt es sich beim Bundesgesundheitsminister um den Mann, der sich 2014 bei der Diskussion um die Rezeptpflicht für die „Pille danach“ mit dem hilfreichen Hinweis für Frauen hervorgetan hat: „Das sind keine Smarties.“ Diese Herablassung gegenüber Frauen setzt er auf seinem Ministerposten ungeniert fort. Ein besonders überflüssiger Kommentar war das damals angesichts der Tatsache, dass Frauen sich mit Hormonbomben wesentlich besser auskennen als Männer, schließlich sind sie es, die hormonell verhüten und am eigenen Leib erfahren, was schon diese Dosis mit dem Körper macht – selbst wenn sie die Antibabypille gut vertragen, merken sie die enorme Umstellung, wenn sie sie absetzen. Das tun Frauen unter anderem deshalb, weil die Pille Gesundheitsrisiken mit sich bringt – schon das sind nämlich „keine Smarties“. Darüber hätte man für fünf Millionen Euro ganz hervorragend aufklären können, auch über alternative Verhütungsmethoden, die Frauen nicht dieser körperlichen Belastung aussetzen und bei sorgfältiger Anwendung bestens funktionieren. Aber dadurch würde man es sich natürlich mit der Pharmabranche verderben, und wer könnte das schon wollen? Jens Spahn offenbar nicht.
Dabei ist die Verhütung längst nicht das Einzige, womit Frauen alleingelassen werden. Selbst wenn eine Frau sich entscheidet, ein Kind zu bekommen, werden ihr Steine in den Weg gelegt: Es gibt viel zu wenige Hebammen, weil zu diesem Beruf ruinöse Versicherungskosten, unplanbare Arbeitszeiten und schlechte Bezahlung gehören. Eine Geburtsstation nach der anderen schließt, zuletzt kündigte die Chefärztin einer Hamburger Klinik gemeinsam mit vier von sieben Oberärztinnen, weil die Kreißsäle so überlastet waren, dass Gebärende nicht richtig versorgt werden konnten. Immer wieder werden Frauen einfach abgewiesen, obwohl sie kurz vor der Geburt stehen: Kein Platz, versuchen Sie es woanders. Auch Frauen, die längst Kinder haben, werden nicht ausreichend geschützt – etliche Frauenhäuser sind überfüllt und können nicht helfen, auch wenn Frau und Kind zu Hause geschlagen werden. Es gibt so vieles, das dringend in Angriff genommen werden muss. Diese Studie gehört nicht dazu. Julia Bähr (Frankfurter Allgemeine Zeitung, 12.2.2019)