Pflegereform: Minister plant Griff in die Steuerkasse

03/2021

Arbeitsentwurf liegt vor – Kinderlose zahlen mehr: Das Bundesgesundheitsministerium sieht die Pflege immer weniger als ein Thema des Individuums und der Sozialversicherungen an. Vielmehr sei die Versorgung der Bedürftigen zunehmend eine gesellschaftspolitische Aufgabe – und sollte daher aus allgemeinen Steuermitteln mitgetragen werden. Das geht aus einem Arbeitsentwurf zum Pflegereformgesetz hervor, der der F.A.Z. vorliegt. Bisher war die soziale Pflegeversicherung die einzige der vier Sozialkassen, die ohne Bundesmittel auskam. Jetzt sind Milliardenzuschüsse geplant, um die Eigenanteile der Pflegebedürftigen und ihrer Angehörigen zu begrenzen.

Hinter dem Vorstoß steht das Bemühen, in der alternden Gesellschaft die Belastungen für die Anspruchsberechtigten beherrschbar und planbar zu halten. Zugleich sollen aber auch die Pflegekräfte besser entlohnt werden, was die Kosten hochtreibt. So sieht das noch inoffizielle Papier vor: „Zur Stärkung der Attraktivität des Pflegeberufs und der Verbesserung der Arbeitsbedingungen in der Pflege müssen beruflich Pflegende künftig mindestens nach Tarif entlohnt werden.“ Gleichzeitig sollen zusätzlich zu den schon geplanten 33 000 Pflegefach- und Hilfskräften vom Jahr 2023 an weitere vollstationäre Stellen entstehen.

Derzeit beträgt der durchschnittliche Eigenanteil der Heimbewohner an ihren Pflegekosten etwa 760 Euro im Monat. Ursprünglich wollte ihn Bundesgesundheitsminister Jens Spahn (CDU) auf 700 Euro begrenzen und zwar drei Jahre lang, also auf maximal 25 200 Euro. Jetzt sieht das Entlastungsmodell anders aus. Geplant ist eine „in Abhängigkeit von der Dauer der Pflege gestaffelte Reduzierung der pflegebedingten Eigenanteile“, wie es in dem Entwurf heißt. Konkret bedeutet das: Wer länger als ein Jahr vollstationäre Leistungen bezieht, erhält 25 Prozent des pflegebedingten Eigenanteils erstattet. Bei mehr als zwei Jahren beträgt dieser „Leistungszuschlag“ 50 Prozent, bei mehr als drei Jahren sind es 75 Prozent. Ähnlich wie der eigentliche Leistungsbetrag stellt die Pflegeeinrichtung künftig auch den Leistungzuschlag der Pflegekasse in Rechnung.

Jährliche Mehrausgaben in Milliardenhöhe: Erleichterungen soll es auch in der häuslichen Pflege geben. Etwa dadurch, dass der Bund künftig die Beiträge zur Rentenversicherung von Personen trägt, die ihre Angehörigen pflegen. Spahns Haus rechnet offenbar damit, dass die Pflegereform noch vor Jahresende in Kraft tritt. Denn in dem Entwurf heißt es, dass für 2021 mit Mehrausgaben des Bundes von 1,3 Milliarden Euro zu rechnen sei: für die Rentenbeiträge und für einen „pauschalen Beitrag zur Beteiligung an weiteren gesamtgesellschaftlichen Aufgaben der sozialen Pflegeversicherung“. Für 2022 sind dann schon 5,1 Milliarden Euro vorgesehen.

Der Bund will zudem mehr Zulagen zu privaten Pflegezusatzversicherungen zahlen. Auch rechnet er mit steuerlichen Mindereinnahmen dadurch, dass zur Stärkung der betrieblichen Pflegevorsorge Entgeltumwandlungen möglich sein sollen. Beides zusammen kostet den Steuerzahler noch einmal fast 600 Millionen Euro, so dass im kommenden Jahr rund 5,7 Milliarden anfallen. Die Länder sollen die Pflegebedürftigen dadurch entlasten, dass sie einen größeren Teil an den Investitionskosten der Heime übernehmen, nämlich bis zu 100 Euro im Monat je Bett. Das kostet die Länder 940 Millionen Euro, hinzu kommen Zusatzkosten in der Beamtenbeihilfe für Bund, Länder und Kommunen von 180 Millionen Euro. Hingegen könnten die Sozialhilfeträger 360 Millionen Euro sparen, unter anderem durch die Begrenzung des Eigenanteils, den sie für „Empfänger von Hilfe zur Pflege“ zahlen.  Die Mehrausgaben der Pflegeversicherung beziffert der Entwurf auf mittelfristig 6,3 Milliarden Euro im Jahr. Diesen stünden aber Kostensenkungen von 3,9 Milliarden gegenüber. Von kommendem Jahr an beteilige sich der Bund an den Kosten mit 2,5 Milliarden Euro. Geplant ist auch, den Zuschlag für Kinderlose um 0,1 Beitragpunkte zu erhöhen, wodurch der Pflegevorsorgefonds zusätzlich 400 Millionen Euro im Jahr erhalte. (Frankfurter Allgemeine Zeitung, 16.3.2021)