Landesfamilienrat: Kein Vergnügen – Wohnen in Coronazeiten! Unzureichende Wohnverhältnisse behindern Entwicklungsmöglichkeiten von Kindern

05/2020

PRESSEMITTEILUNG des Landesfamilienrates BW zum Internationalen Tag der Familie am 15. Mai

Stuttgart, 13.05.2020: In Zeiten von Ausgangs- und Kontaktsperren, von Kita-, Schul- und Spielplatzschließungen wird deutlich, wie wichtig das unmittelbare Wohnumfeld für das Wohlbefinden, vor allem aber für Entwicklungs- und Bildungschancen von Kindern ist. Auch wenn sich erste Lockerungen abzeichnen, fordert der Landesfamilienrat Baden-Württemberg zum Internationalen Tag der Familie von der Landesregierung und den Kommunen schnelle Abhilfe. Dazu gehören etwa individuelle Förderung oder Betreuungsangebote in den Sommerferien. Gleichzeitig muss es gerade jetzt um grundsätzliche Verbesserungen bei der Wohnraum- und Quartiersplanung gehen.

In der Coronakrise finden Wohnen, Betreuung und Bildung, Beruf und Haushalt, manchmal auch noch Pflege, fast ausschließlich innerhalb der eigenen vier Wände statt. Das Zusammenleben in engen Wohnungen ohne ausreichenden Rückzugsraum ist für viele Familien schon in normalen Zeiten eine Herausforderung. Nach aktuellen Zahlen des Bundesinstituts für Bevölkerungsforschung (BiB) hat jede dritte Familie in Deutschland keinen Zugang zu einem Garten und Kinder sind für Aktivitäten auf den öffentlichen Raum angewiesen.

„Die Corona-Krise wirkt wie ein Brennglas und macht die Schwachstellen in verschiedenen gesellschaftlichen Bereichen deutlich“ sagt dazu die Vorsitzende des Landesfamilienrates Christel Althaus. „In Zeiten von gleichzeitigem Home Office, Home Schooling und Kinderbetreuung sind prekäre Wohnsituationen ein zusätzlicher Belastungsfaktor. Familien mit Kita- oder Schulkindern kommen da im wahrsten Sinne des Wortes an ihre Grenzen“.

In wirtschaftlich benachteiligten Familien haben laut einer Studie des Instituts der Deutschen Wirtschaft (IW) ein Drittel aller Kinder keinen Schreibtisch und sind beim Lernen eingeschränkt. Auch die mangelnde technische Ausstattung und der vielerorts vorherrschende digitale Notstand erschweren den Unterricht zu Hause. Unzureichende Wohnverhältnisse behindern die Entwicklungsmöglichkeiten von Kindern und die ohnehin ungleich verteilten Bildungschancen werden zementiert. Der Landesfamilienrat befürchtet, dass ohne ein gutes Konzept von Förderung ein erheblicher Teil der Kinder in diesen Zeiten abgehängt wird. Kinder mit ungünstigen Lebensverhältnissen müssen daher bei der sogenannten Exit-Strategie bevorzugt werden!

„Gerade für Kinder, deren häusliche Situation unzureichend ist, wird das Wohnumfeld besonders wichtig“, sagt dazu Magdalena Moser, Vorsitzende des Fachausschusses ‚Familie und Wohnen‘ beim Landesfamilienrat. Diese Erkenntnis gelte nicht nur in Krisenzeiten. Hier müssten Hilfen ansetzen, sofort und in der Zukunft. Schließlich geht es nicht nur um den privaten Raum, sondern auch um die unmittelbare Umgebung – für deren Gestaltung es eine öffentliche Verantwortung gibt.

Der Landesfamilienrat fordert daher folgende Verbesserungen:

  • Kinder brauchen Räume! Sie müssen ohne Stress und Enge lernen können. Der Landesfamilienrat regt an, dass dafür öffentliche Räume geöffnet und einer multiplen Nutzung zur Verfügung gestellt werden, z. B. zum Lernen in Bibliotheken oder in Zentren für Familien.
  • Kinder brauchen Freiräume! Naherholungsmöglichkeiten müssen gestärkt, ausgebaut und bei jeglicher Quartiersplanung vorgesehen werden.
  • Der Landesfamilienrat fordert die Ausweitung von Ferienprogrammen im Sommer 2020. Ziel muss sein, Kindern wieder mehr Möglichkeiten zu Bewegung und Kreativität zu verschaffen und die Betreuungssituation für die Eltern zu verbessern.
  • Es müssen gute Nahversorgungsstrukturen geschaffen und Solidarität und Hilfsbereitschaft in der Nachbarschaft unterstützt werden. Jugend-, Familien- und Nachbarschaftszentren sind dabei tragende Säulen.

Aus der Pandemie gilt es für die Zukunft zu lernen, so Althaus abschließend: „Wir brauchen Städte und Regionen, die krisenfest sind. Das ist auch durch eine Verbesserung des Wohnumfeldes zu erreichen.“ Neben ihrer existenziellen Bedeutung für das Wohlbefinden von Kindern und Familien sind gute Wohnverhältnisse ein entscheidender Faktor für die Gesundheit.

Hinweis für die Presse: Der Landesfamilienrat Baden-Württemberg ist der Zusammenschluss von derzeit 24 Verbänden und Organisationen, die landesweit in der Arbeit für und mit Familien engagiert sind. Er ist ein unabhängiger und weltanschaulich neutraler Anwalt und Partner für die Belange von Familien und beteiligt sich aktiv an der Meinungsbildung politischer Entscheidungsträger. Erklärtes Ziel ist es, die Lebensqualität und damit die Rahmenbedingungen für Familien und das Leben mit Kindern zu verbessern. Christel Althaus ist Professorin an der Hochschule Esslingen und lehrt dort u.a. Soziale Arbeit mit dem Schwerpunkt Familie. Seit Dezember 2015 ist sie Vorsitzende des Landesfamilienrates Baden-Württemberg.


Pressemitteilung zum Internationalen Tag der Familie am 15. Mai

Positionspapier des Landesfamilienrates „Mehr als ein Dach über dem Kopf“

Dr. Gerd Kuhn, Wohnsoziologe Tübingen: Familienwohnen in und nach der Corona-Krise

Bundesinstitut für Bevölkerungsforschung

Institut der Deutschen Wirtschaft