Kinderrechte sollen ins Grundgesetz – Gesetzentwurf liegt vor

12/2019

Karlsruhe – Nach jahrelanger Diskussion über eine Aufnahme der Kinderrechte ins Grundgesetz hat das Bundesjustizministerium nun einen Gesetzentwurf erarbeitet. Danach sollen Kinder einen Anspruch auf „Förderung ihrer Grundrechte“ erhalten, zudem soll die Pflicht zur Berücksichtigung des Kindeswohls festgeschrieben werden. Ministerin Christine Lambrecht (SPD) überweist das 14-Seiten-Papier, das der Süddeutschen Zeitung vorliegt, an diesem Dienstag zur Ressortabstimmung an die Bundesregierung. Damit wird die erste Änderung im Katalog der Grundrechte seit fast 20 Jahren eingeleitet.

Der Entwurf baut auf dem Bericht einer Bund-Länder-Arbeitsgruppe auf. Das Ministerium hat eine Synthese aus den drei Formulierungsvorschlägen der Experten erarbeitet. Danach soll ein neuer Absatz 1a in Artikel 6 eingefügt werden: „Jedes Kind hat das Recht

auf Achtung, Schutz und Förderung seiner Grundrechte einschließlich seines Rechts auf Entwicklung zu einer eigenverantwortlichen Persönlichkeit in der sozialen Gemeinschaft. Das Wohl des Kindes ist bei allem staatlichen Handeln, das es unmittelbar in seinen Rechten betrifft, angemessen zu berücksichtigen. Jedes Kind hat bei staatlichen Entscheidungen, die seine Rechte unmittelbar betreffen, einen Anspruch auf rechtliches Gehör.“

Mit diesen drei Sätzen, die Artikel 6 um mehr als die Hälfte seines jetzigen Umfangs erweitern, wollen die Reformer allerdings möglichst wenig am Verhältnis zwischen Eltern, Kindern und Staat ändern, wie es in der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts angelegt ist. Der neue Absatz solle „die Grundrechte von Kindern im Text des Grundgesetzes besser sichtbar machen“ und „verdeutlichen, welch hohe Bedeutung Kindern und ihren Rechten in unserer Gesellschaft zukommt“. Elternrecht und Elternverantwortung würden nicht beschränkt, sondern „inhaltlich unverändert“ garantiert. Das Verhältnis zwischen Eltern, Kindern und Staat solle „bewusst nicht angetastet werden“.

Mit diesen Beteuerungen wollen die Reformer die Sorge zerstreuen, mit einem neuen Kinderrecht bekäme der Staat ein neues Werkzeug zur Krisenintervention in problematischen Familien. Bisher kann das Jugendamt Kinder nur bei echten Gefährdungen aus solchen Familien herausnehmen. Doch manche Gerichte ließen in der Vergangenheit bereits fragwürdige Erziehungsmethoden für einen solchen oft lebensentscheidenden Eingriff ins Familiengefüge ausreichen. Nach der Begründung des Entwurfs soll es aber bei der alles überragenden Erstverantwortung der Eltern für ihre Kinder bleiben. Der Staat hat nur ein „Wächteramt“ und steht als Aufpasser in der zweiten Reihe.

Eher zurückhaltend bleibt der Entwurf bei den Teilhaberechten der Kinder. Den Vorschlag der Arbeitsgruppe, jedem Kind einen Anspruch auf „Gehör und auf Berücksichtigung seiner Meinung entsprechend seinem Alter und seiner Reife“ einzuräumen, hat er nicht aufgegriffen. Es bleibt bei einem Anspruch auf „rechtliches Gehör“, wie er längst im Grundgesetz verankert ist.

WOLFGANG JANISCH (Süddeutsche Zeitung, 26.11.2019)