Genug ist genug: Mehr als viereinhalb Monate Schulschließung für Kinder und Jugendliche nicht zumutbar

04/2021

Die Bedürfnisse von Kindern und Jugendlichen müssen bei der Planung von Maßnahmen zur Eindämmung der Pandemie deutlich stärker als bisher in den Blick genommen werden. Dies fordert die evangelische arbeitsgemeinschaft familie (eaf) mit Blick auf die andauernde Ausnahmesituation in der Coronakrise. Besonders hart trifft es die 5,2 Millionen Kinder und Jugendlichen der Sekundarstufe: Viele von ihnen sind seit Dezember 2020 gar nicht oder nur wenige Tage in der Schule gewesen, je nach Bundesland. Da für sie auch die meisten Freizeitangebote geschlossen und ihre Möglichkeiten für soziale Kontakte stark eingeschränkt sind, kommt es inzwischen vermehrt zu starken psychischen Belastungen und zu gesundheit­lichen Problemen bei den Heranwachsenden. Nach Analysen des Bundesinstituts für Be­völkerungsforschung ist der Anteil der Jugendlichen mit depressiven Symptomen nach Selbsteinschätzung enorm angestiegen und betrifft über 400.000 junge Menschen mehr als vor der Pandemie.

„Die Größenordnung der gesundheitlichen, seelischen Belastung der Kinder und Jugendlichen wird völlig unterschätzt. Wir erleben eine stille „Pandemie“ im Kinderzimmer mit depressiven Symptomatiken und Angststörungen. Da die Diagnostik für psychische Erkrankungen auf­wändiger ist, fehlen genaue Zahlen. Trotzdem ist die Situation alarmierend. Jede Woche Schulschließung verschärft diese Situation. Die Jugendlichen benötigen dringend eine Perspektive. Es darf nicht sein, dass sie weiterhin die stärksten Einschränkungen von allen tragen, weil es an tragfähigen Hygienekonzepten mangelt und die Schulen in vielen Bundesländern weiterhin geschlossen bleiben. In einem Alter, in dem Jugendliche sich schrittweise aus ihrem Elternhaus lösen und soziales Lernen vorrangig mit Gleichaltrigen stattfindet, haben viele derzeit fast nur Eltern und Geschwister als Ansprechpartner“, stellt eaf-Präsident Dr. Martin Bujard fest. „Das birgt großes Konfliktpotenzial, führt zu psychischen Belastungen und kann von den ebenfalls belasteten Eltern kaum aufgefangen werden.“

Befragungen aus den letzten Monaten (JuCo I und II der Universitäten Hildesheim und Frankfurt) zeigen, dass sich die jungen Menschen mit ihren Sorgen und Ängsten, mit ihren Bedürfnissen und Ideen nicht gesehen fühlen. Sie haben den Eindruck, dass über ihre Köpfe hinweg entschieden wird. „Wenn Familien ihre Kinder gut durch die schwere Zeit der Beschränkungen bringen sollen, müssen wir deren Bedürfnisse weit stärker als bisher in den Fokus rücken. Mit Schulen, die zumindest Wechselunterricht anbieten, und Angeboten für die Freizeit an der frischen Luft sollte den Heranwachsenden nicht nur schulisches Lernen, sondern insbesondere soziale Interaktion mit Gleichaltrigen ermöglicht werden – und damit wieder mehr Lebensfreude“, so Bujard weiter.

Darüber hinaus müssten für junge Menschen gerade jetzt verstärkt echte Beteiligungs­möglichkeiten geschaffen und wegweisende Entscheidungen mit ihnen gemeinsam getroffen werden. Denn wenn Kinder und Jugendliche sich in einer schwierigen und herausfordernden Situation als aktiv handelnde Personen erleben, können sie gestärkt daraus hervorgehen und tragen weniger psychische Folgeschäden davon.

Die eaf schlägt in ihrem Policy Paper „Kinderrechte und Grundgesetz“ vor, ein Kinder-Mainstreaming als Staatsziel im Grundgesetz zu verankern. Martin Bujard ist überzeugt: „Wenn ein solches Kinder-Mainstreaming den Staat bereits im vergangenen Jahr zu einer aktiven und wirkungsvollen Kinderrechtspolitik verpflichtet hätte, wären Familien weit besser durch die Corona-Pandemie gekommen!“