DIW- Studie: Die Pandemie als Rollenverstärker
03/2021
Studien zeigen: Der Anteil von Familien, in denen die Frau die Kinderbetreuung alleine übernimmt, hat sich verdoppelt. Es sieht so aus, als festige und verstärke die Pandemie bestehende Rollenverteilungen.
Berlin – Das Familienleben ist ordentlich durcheinandergeraten im vergangenen Jahr, als der erste Lockdown beschlossen wurde. Viele Wochen lang waren die Schulen und Kitas geschlossen oder liefen nur im Notbetrieb, und die meisten berufstätigen Eltern mussten die Kinderbetreuung komplett anders organisieren als sonst. Die große Frage, die sich seither viele stellen, ist: Wie haben sie sich das Kinderhüten und die Hausarbeit aufgeteilt? Hat sich etwas verändert an den eingeübten Rollen, die Mütter und Väter hierzulande übernehmen innerhalb ihrer Familien?
Einige Studien zu diesem Komplex sind in den vergangenen Monaten bereits veröffentlicht worden, im Großen und Ganzen war das Bild, das sie zeichneten, stets ein differenziertes. An diesem Mittwoch stellt nun das Deutsche Institut für Wirtschaftsforschung (DIW) eine neue Studie vor, die noch mehr Licht ins Dunkel der pandemiebedingten Rollenverteilung bringen will. Die beiden zentralen Ergebnisse der Untersuchung, die der Süddeutschen Zeitung vorab vorlag: Zum einen hat sich der Anteil der Familien, in denen die Mutter sich fast komplett alleine um die Kinder kümmert, fast verdoppelt. Zum anderen hat sich der Anteil der Familien, in denen die Eltern sich die Sorgearbeit gleichberechtigt teilen, kaum verändert. Möglich ist das durch die Verschiebungen in einer dritten Konstellation: Der Anteil der Familien, in denen die Frau „überwiegend“ die Kinderbetreuung stemmt, ist gesunken.
Konkret: Die Ausgangslage vor der Corona-Pandemie war die, dass in 59 Prozent der Paarfamilien „überwiegend“ die Frau die Kinderbetreuung übernahm, in 31 Prozent der Fälle teilten die Eltern sich die Betreuung „in etwa gleich“ auf. Acht Prozent gaben an, dass „(fast) vollständig“ die Frau die Kinderbetreuung stemmt, in weniger als drei Prozent der Fälle „(fast) vollständig“ oder „überwiegend“ der Mann. Ein Jahr später, in der Pandemie mit all ihren Betreuungseinschränkungen, ist der Anteil der Familien mit dem Modell Halbe-Halbe nahezu unverändert. Der Anteil mit der „überwiegenden“ Kinderbetreuung durch die Mutter ist um 13 Prozentpunkte gesunken – dafür ist im Gegenzug der Anteil der Mütter als alleinige Betreuerinnen um acht Prozentpunkte gestiegen – er hat sich also verdoppelt, von vormals acht auf nun 16 Prozent. Für das Waschen, Kochen und Putzen ergibt sich ein ähnliches Bild, allerdings ist hier der Anteil der Familien, in denen die Frau den Haushalt in der Pandemie alleine schwingt, nicht so stark gewachsen wie bei der Kinderbetreuung.
Es sieht also ganz danach aus, als festige und verstärke die Pandemie bestehende Rollenverteilungen: Paare, die sich die Verantwortung für Familie und Beruf hälftig teilen, tun das wohl auch unter verschärften Bedingungen. Wo hingegen die Frau schon vorher den größeren Part der Sorgearbeit übernommen hat, tut sie das im Lockdown offenbar noch mehr: Die Rollenverteilung verschiebt sich dahingehend, dass sie nun komplett zuständig ist. „In Familien, in denen sich Frauen schon zuvor deutlich mehr um Kinderbetreuung und Haushalt gekümmert haben, ist das Ungleichgewicht während der Corona-Pandemie noch größer geworden“, sagt DIW-Forscherin Katharina Spieß.
Grundlage der Untersuchung ist eine Längsschnittstudie, für die jährlich rund 12 000 Personen befragt werden. Im Mai, Juni und Juli des vergangenen Jahres kam eine spezielle Corona-Erhebung hinzu, an der sich laut DIW mehr als 3000 Menschen beteiligt haben. Insgesamt stützt sich die Untersuchung auf 967 Paarhaushalte mit Kindern; Mütter waren mit 60 Prozent der Befragten leicht überrepräsentiert. Das bei solchen Befragungen bekannte Phänomen, dass Frauen und Männer ein und denselben Sachverhalt unterschiedlich wahrnehmen, tritt auch bei dieser Untersuchung auf. So gaben fast 24 Prozent aller Mütter an, sie übernähmen „(fast) vollständig“ die Kinderbetreuung, aber nur gut fünf Prozent der Väter sahen das genauso. Bei der Berechnung der Gesamtwerte wurden derartige Diskrepanzen von den Forscherinnen berücksichtigt.
Die Studie zeigt auch, dass das Arbeiten von zu Hause aus sich bei Männern und Frauen unterschiedlich darauf auswirkt, wie viel an Hausarbeit und Kinderbetreuung sie leisten. Bei Frauen ist das Home-Office damit verbunden, dass sie mehr Sorgearbeit erledigen als sonst – bei Männern ist das nicht so. Henrike Roßbach (Süddeutsche Zeitung, 3.2.2021)